Veröffentlicht am 27.10.2021 unter Beratung, MINT-Bildung
15 Jahre MINT-Förderung
Ein Rück- und Ausblick mit Magdalena Hein, zuständig für den Bereich MINT und Mitglied der Geschäftsleitung bei matrix

Wie funktioniert erfolgreiche MINT-Förderung und wie nicht? Welche Synergien zwischen schulischer und außerschulischer Bildung können genutzt werden? Was muss geschehen, damit Konzepte und Maßnahmen eine nachhaltige Wirkung entfalten? Magdalena Hein gewährt uns einen kleinen Einblick in Erfahrungen aus über 15 Jahren MINT-Förderung.
Liebe Magdalena,
die Förderung von MINT-Kompetenzen steht im Fokus vieler matrix-Projekte. Wieso?
MINT-Bildung ist essenziell, um sich gesellschaftlichen Herausforderungen stellen zu können. MINT findet sich in so vielen Themen wieder und in der Welt, die uns umgibt. Naturwissenschaftlich-technische Kenntnisse sind im Alltag anwendbares Wissen, das dazu beitragen kann, die Welt besser zu verstehen und sich in ihr zurechtzufinden. Unser Ziel ist es, möglichst vielen Menschen einen Zugang zu MINT-Bildung zu verschaffen, damit sie an gesellschaftlichen Prozessen und Entscheidungen teilhaben können. Wenn sie früh im Lebenslauf die Gelegenheit hatten, sich eigenverantwortlich mit MINT-Phänomenen auseinanderzusetzen, dann widmen sie sich auch aus eigener Motivation heraus gesellschaftlichen Herausforderungen. Ein gutes Beispiel dafür ist die Fridays for Future-Bewegung: Junge Menschen haben durch MINT-Wissen die Relevanz dieses Themas für ihre Zukunft entdeckt und gehen letztendlich für ihre Überzeugung, ihre Interessen und ihre Ziele auf die Straße.
matrix beschäftigt sich jetzt seit über 15 Jahren mit MINT-Förderung und -Bildung und hat in dieser Zeit viele Erfahrungen gesammelt. Was funktioniert in der MINT-Förderung und -Bildung und was nicht?

In 15 Jahren haben wir viele Erfahrungen gemacht, mit unterschiedlichen Partner:innen zusammengearbeitet und natürlich auch gesehen, was nicht funktioniert: Insellösungen und Einzelmaßnahmen, die ins Leere laufen. In der MINT-Förderung ist es wichtig, auf Langfristigkeit zu setzen, Angebote zu kontextualisieren und in einem Netzwerk zusammenzuarbeiten. So sind wir beispielsweise auch Mitglied und Mitinitiatorin der Servicestelle MINTvernetzt.
Was bedeutet Kontextualisierung in der MINT-Bildung konkret?
Nehmen wir ein Beispiel: Wenn ein Kurs zum Thema Programmierung angeboten wird, ist es hilfreich, diese Kenntnisse und Fähigkeiten in einen größeren Zusammenhang zu stellen, um ihre Bedeutung sichtbar zu machen. Für viele junge Menschen ist es wichtig, zu wissen: Warum mache ich das? Für was ist das gut? Was kann ich damit schaffen?
Bei der Programmierung eines Roboters kann es um die Frage gehen, welche gesellschaftlich relevante Aufgabe dieser im Anschluss übernehmen kann, zum Beispiel das Bestäuben von Blüten. Dann programmieren Schüler:innen aus der Motivation heraus, die Herstellung von Lebensmitteln zu gewährleisten. Ein Kurs, der Wissen über das Wetter vermittelt, gewinnt durch den Ansatz „Wir bekämpfen den Klimawandel“ an Relevanz. Durch den Kontext rückt ein Ziel in den Fokus für das es sich lohnt, Zeit zu investieren und nach Lösungen zu suchen. Auch ein Fach wie Mathematik, das gerne abgewählt wird, ist für eine Vielzahl von Themenfeldern und über den klassischen Unterricht hinaus relevant. Wie entwickelt sich die Weltbevölkerung, wie der Finanzmarkt? Wie werden Umfrageergebnisse ausgewertet und wie sind Reproduktions- und Inzidenzzahlen zu lesen – das alles ist Mathematik. Es ist wichtig, Kindern und Jugendlichen zu zeigen, wie sie MINT für sich, ihre Aufgaben, Themen und Interessensgebiete nutzen können.
Durch Kontextualisierung kann demnach Nachhaltigkeit in der MINT-Förderung und -Bildung gewährleistet werden? Wie noch?
Nachhaltigkeit entsteht, wenn die Menschen selbst aktiv werden. Das erreichen wir über Partizipation. Sie ist ein zentrales Element unserer Arbeit. Wir entwickeln Themen nicht für die junge Zielgruppe, sondern die junge Zielgruppe entwickelt ihre Themen mit uns. Wir fragen nicht nur einmal nach „Was interessiert und was motiviert euch?“, sondern setzen vielmehr auf die aktive Beteiligung und Mitbestimmung junger Menschen, die zur treibenden Kraft des Prozesses werden. Hierfür sind BarCamps ein tolles Beispiel: Eine Gruppe trifft sich zu einem Oberthema, wie dieses jedoch ausgestaltet und angegangen wird, wird von den Teilnehmenden selbst bestimmt. Im MINT-Bereich führen wir dieses Format mit jungen Menschen als YouthScienceCamps durch. Bei der Entwicklung unserer Programme lassen wir uns gerne von Jugendgruppen beraten – denn wenn wir etwas aus unserer Erwachsenenperspektive entwickeln, entwickeln wir es womöglich an ihnen vorbei.

Bei der MINT-Bildung handelt es sich um klassische Schulfächer, die auch im Unterricht behandelt werden – reicht das nicht? Wieso braucht es außerschulische Lernorte?
Schulische und außerschulische Bildung haben ganz unterschiedliche Aufträge und unterscheiden sich auch in ihren Rahmenbedingungen. Beides ist wichtig und kann gemeinsam Spaß am Erwerb von Wissen vermitteln sowie die Neugierde, sich tiefergehend mit Themen zu beschäftigen. Schule verfolgt ihren Bildungsauftrag jedoch in einem großen System. Es orientiert sich an langfristig festgelegten Lehrplänen. Außerschulische Bildung kann diese flexibel und durch neue Lern- und Erlebnisräume ergänzen, die aktuelle Entwicklungen aufgreifen, phänomenbasiert arbeiten oder den Raum bieten, bewusst Fehler zu machen.
Außerschulisch haben wir zudem die Möglichkeit, ganz viele Akteur:innen in den Prozess der Wissensvermittlung miteinzubeziehen, die jungen Menschen neue Impulse liefern. Hierzu zählen Praktiker aus unterschiedlichen MINT-Berufen, aber auch Wissenschaftler:innen. Wir wünschen uns einen Austausch zwischen Praktiker:innen und Forschung, an dem bereits Schüler:innen teilhaben. Ein tolles Beispiel dafür sind die zdi-Schülerlabore an Hochschulen oder FabLabs, die zu Lern- und Erlebnislaboren für junge Menschen werden.
Ein zentraler Ansatz von uns ist, wissenschaftliche Erkenntnisse in die Praxis zu übertragen und einer breiten Bevölkerung zugänglich zu machen. Wir setzen konsequent darauf, sie für junge Menschen in besonders spannende gesellschaftliche Kontexte (z. B. Green Deal, Digitalisierung, Gesund leben, neue Mobilität) zu übersetzen und verfügbar zu machen und bezeichnen das als Wissenschaftstransformation.
Wir machen MINT-FÖRDERUNG…
- auf der Grundlage von über 15 Jahren Erfahrung
- faktenorientiert & mit Methodenkompetenz
- durch die Übersetzung von Wissenschaft in die Praxis
- unter aktiver Beteiligung der Zielgruppe
- mit einem großen Netzwerk und Kenntnissen der Szene
- reichweiten- und kommunikationsstark
- mit nachhaltiger Wirkung
Spielt diese Loslösung vom Schulkontext für Mädchen im Besonderen eine Rolle?
Meiner Erfahrung nach nicht. Wenn wir uns allerdings die Zahlen im MINT-Bereich angucken, dann ist es leider immer noch so, dass sich viel weniger junge Frauen als junge Männer für ein MINT-Studienfach entscheiden. Das hat natürlich auch etwas mit der Sozialisation zu tun. Je früher man vermittelt bekommt, wie selbstverständlich es ist, sich mit MINT-Themen zu befassen, völlig unabhängig vom Geschlecht, desto selbstverständlicher wird es auch für junge Frauen. Wir müssen uns davon lösen zu sagen: „Mädchen müssen im MINT-Bereich gefördert werden.“
Denn JEDE:R sollte im Bereich MINT gefördert werden – insbesondere junge Menschen.

Impfstoffentwicklung, Klimawandel – das sind Standardbeispiele, die auf die gesellschaftliche Bedeutung von MINT-Bildung aufmerksam machen. Gesellschaftlich relevante Themen gehen aber noch weiter – z. B. in den sozialen Bereich. Dafür arbeitet ihr im Team mit dem Begriff MINTplus.
MINTplus heißt für uns: Wir denken MINT weiter und verknüpfen es mit sozial-gesellschaftlichen Themen – MINT in der Pflege, Digitalisierung im Gesundheitswesen, Kunst und KI. Letztendlich geht es wieder um den Aspekt der Kontextualisierung von Wissen. MINT-Bildung ermöglicht es, naturwissenschaftlich-technische Themen in Kontexte zu stellen und sich dadurch gesellschaftlichen und sozialen Themen zu widmen. Wir sind davon überzeugt, dass wir durch diese Herangehensweise auch Zielgruppen erreichen, die sich nicht vornehmlich dem MINT-Bereich zugehörig fühlen oder sich beruflich in diese Richtung entwickeln möchten. Das denken wir auch im europäischen Kontext weiter. Dazu in Kürze mehr.
Vielen Dank für das Interview, Magdalena!
Beispielprojekte: zdi.NRW, zdi-BSO-MINT, MINTvernetzt, shemakes.eu
Fotos: Zukunft durch Innovation.NRW
www.zdi-portal.de