Mehr Anarchie wagen – Gebt die Macht an die Communitys
Bewegungen wie der arabische Frühling, Fridays for Future oder der Global Citizen-Bewegung sind vor allem aus dem Kreis der mehrheitlich jungen web-Nutzer*innen entstanden oder verbreiten sich durch diese dort. Die Bewegungen und ihre jungen Treiber*innen haben so ihre überraschende Macht entfaltet – und ausgebaut.
Nach wie vor sind die sozialen Medien dafür das Kommunikationsmittel Nummer 1 der jungen Menschen.
Und das gilt für fast alle Funktionen wie
- sich und andere informieren
- private Gespräche
- Kaufen und Verkaufen
- Unterhaltung aller Art
- Arbeiten
- sich und andere bilden und weiterbilden
Diese Erfahrungen werden jedoch in nahezu keiner politischen, kommerziellen oder sonstigen Kampagne wirklich konsequent genutzt.
Meist bleibt es bei ein wenig mehr Mitwirkung durch die Zielgruppen, Befragungen und etwas User-generated Content.
Das eigentliche Potenzial wird jedoch verschenkt.
Egal, ob das Ziel
- die Erschließung neuer Ziel- und Kundengruppen für die eigenen Interessen,
- die Verbesserung der eigenen Markenwerte und Marktanteile,
- die ernsthafte Erneuerung von Produkten und Dienstleistungen
- oder die Aktivierung von jungen Menschen zum Beispiel für Gemeinwohlaufgaben, Freizeitgestaltung oder Ehrenamt lautet:
Dazu müssen Kampagnen einfach anders aufgebaut werden, als die meisten heute. „Mehr Anarchie wagen!“ – so die Botschaft von Fabio Mancarella – darum geht es.
Mehr Anarchie bedeutet vor allem eine Verschiebung der verbreiteten Machtverhältnisse. Weniger Macht den Plattformen. Weniger Macht den Agenturen. Mehr Macht den Nutzer*innen. Mehr Mit- und mehr Selbstbestimmung für mehr Menschen.
Fabios These: Das lohnt sich auch für Web-Anbieter*innen wie Unternehmen, Parteien, Vereine, Wissenschaftler*innen, Behörden und viele andere. Bekannte Beispiele dafür gibt es inzwischen – wenn auch noch sehr selten, weil den meisten der Mut zur Anarchie fehlt: z.B. Tesla, die Milka-Kekse-Tour und das FIFA-Museum.
Leider traut sich das noch kaum jemand – ganz besonders hier in Deutschland. Das führt zu zunehmender Unzufriedenheit bei der User*innen. Und die Anbieter*innen treten auf der Stelle. Zudem widerspricht es natürlich der Web-Wirklichkeit von großer Transparenz und ungezügelter Kommunikation. Diese Macht für sich zu nutzen, ihr Gehör zu verschaffen, das fehlt in Deutschland ganz stark.
Niemand weiß beispielsweise besser, welcher Content 16-jährige MINT-Interessierte fesselt, als sie selbst! Daher müssen sie die Kampagne mitgestalten – so geschehen in dem von uns begleitenden Projekt zdi.NRW.
Deswegen beteiligt die matrix-Kommunikation die Zielgruppen in so vielen Kampagnen und Projekten wie möglich – und dann frühzeitig und ganzheitlich.
Fabio Mancarella ist seit 2013 bei der matrix beschäftigt. Nach seiner Ausbildung zum Kaufmann für Marketingkommunikation machte er die Weiterbildung zum Social-Media-Manager.
Hallo Fabio, vielen Dank, dass du dir die Zeit für dieses Interview genommen hast.
In der matrix wirst du auch „P2P-Anarcho“ genannt. Was bedeutet das?
„P2P“ steht für „Peer to Peer“. Der Fachbegriff kommt ursprünglich aus der IT und findet langsam seinen Weg ins Marketing. Grob übersetzt bedeutet der Begriff eine Kommunikation unter Gleichgestellten. Für uns bedeutet das, dass wir mit unseren Kund*innen und den Communities auf Augenhöhe kommunizieren wollen. „Zusammen mit der Community und nicht über die Community“ – gemäß diesem Motto möchten wir möglichst viele Menschen zur Teilhabe an unseren Projekten bewegen. Partizipation ist hier DAS Stichwort. Ich finde es unglaublich wichtig, dass in einer demokratischen Gesellschaft jeder Mensch so oft wie möglich die Gelegenheit erhält, sich einzubringen und das eigene Leben selbstbestimmt zu gestalten.
Das Anarcho kommt daher, dass wir mit unserer Vorgehensweise viel gestalterische Macht an unsere Community abgeben. Von Anarchie ist das jedoch weit entfernt, da wir den Content vor der Veröffentlichung nochmal kontrollieren. Bisher haben wir mit der Abgabe der kreativen Freiheit an die Community, nur positive Erfahrungen machen können.
Wie kann man sich eine P2P-Marketing-Strategie genau vorstellen?
Die Partizipation der Zielgruppen ist uns besonders wichtig. Ein Schlüsselelement dafür ist die Empathie. Nur wenn ich die Gedanken und Gefühle der Zielgruppe verstehe, kann ich sie erreichen. Deshalb beginnt für uns die Konzipierung einer P2P-Strategie mit der Analyse der Zielgruppe. Danach treten wir an die Zielgruppe heran, um aktiv mit ihnen unsere Inhalte zu gestalten – wir begeben uns aktiv IN die Community. In unserem Projekt zdi ist das YouthScienceCamp das wahrscheinlich beste Beispiel für diese Vorgehensweise. Man könnte es fast als analoges Social Media bezeichnen. Die Jugendlichen teilen uns vor Ort mit, worüber sie gerne sprechen würden, welche Themen sie interessieren und was sie sich von der Veranstaltung erhoffen.
Diese Treffen ermöglichen uns auch zu erfahren, welche Kommunikationskanäle die Zielgruppe tatsächlich nutzt. Im Camp haben die Jugendlichen die Möglichkeit, die Veranstaltung aktiv zu gestalten. Da sich dieses Konzept bereits dort mehr als beweisen konnte, haben wir mit dem Konzept auch auf unseren Social Media Plattformen experimentiert. Das Ganze läuft unter dem Titel „Takeover“. Die Zielgruppe erstellt zu Ereignissen und relevanten Themen die Beiträge selbst. Das ist authentisch und nah an der Zielgruppe.
Partizipative-Angebote finden nur langsam in die Kommunikationsstrategien von Unternehmen Einzug. Woran liegt das?
Der Community die Möglichkeit zu geben, Inhalte selbst zu kreieren, bedeutet auch immer ein Stück weit die Kontrolle abzugeben. Diese Vorstellung ist für manche Institutionen noch immer mit Furcht verbunden. Ein gutes Beispiel für dieses Phänomen wäre eine Online-Abstimmung für ein Projekt, die wir vor einiger Zeit durchgeführt haben. Die Community durfte Vorschläge einreichen, wie wir unsere Projekt-Alumni nennen sollen. Darüber wurde dann online abgestimmt.
Damals gewannen die „Gurus“ die Abstimmung, ein sehr passender Titel, wie wir finden. Auch die Community hat diesen Namen wunderbar aufgenommen. Auch das Format MINTYouTubing wird partizipativ durchgeführt. Hier wird die Entscheidungsfreiheit über die Inhalte komplett in die Hände der Teilnehmer*innen gelegt. Einzige Vorgabe für die Videos ist ein naturwissenschaftlicher Zusammenhang. Zusammen mit dem YouTube Duo Lekkerwissen erstellt die Community eines Projektes eigene Videos, die auf dem YouTube-Kanal des Projektes veröffentlicht werden. Da es sich hierbei um User-Generated-Content handelt, welcher von der Zielgruppe für die Zielgruppe produziert wird, zeichnen sich diese Inhalte durch hohe Authentizität aus. Aus diesen Erfahrungen konnten wir bisher sehr positive Rückschlüsse ziehen und haben viel darüber gelernt, wie man eine Community einbezieht. Darüber hinaus lässt sich durch den direkten Dialog mit der Zielgruppe auch schnell herausfinden, welche Formate oder Kommunikationswege für sie interessant sind. Das kann einem viel Zeit und Ressourcen einsparen, wenn man nicht nach dem effektivsten Weg suchen muss, um Kontakt mit der Zielgruppe herzustellen. In Zukunft wird dieses Thema immer mehr an Bedeutung gewinnen. Die sozialen Medien werden immer interaktiver und die Community will eingebunden werden. Für Institutionen wird das Thema auf lange Sicht unverzichtbar werden.
Welchen Effekt würde eine P2P-Strategie auf die Community dann idealerweise erzielen?
Hier schlagen wir die Brücke zur P2P-Strategie. Wenn die Community bereits stark in das Projekt integriert ist, fällt es ihr leichter selbst aktiv zu werden, da sie sich mit dem Projekt identifizieren kann. Der Antrieb ist in diesem Fall der Wunsch selbst gestalterisch aktiv werden zu können. Die Interaktivität wird somit dem Wunsch der Zielgruppe gerecht, selber aktiv zu werden.
Wenn ein paar wenige Community-Mitglieder absolut hinter deinem Projekt stehen, können beispielsweise Shitstorms abschwächen und vielleicht sogar vermieden werden, bevor die Kommunikationsabteilung überhaupt etwas mitbekommt. Engagierte Community- Mitglieder können in diesem Fall bereits die positiven Seiten des Projekts darlegen und wertvolle Vorarbeit leisten. Positive Antworten aus der Community sind meistens wesentlich glaubwürdiger, als Antworten der betroffenen Institution. Dieses Beispiel ist natürlich sehr extrem, aber engagierte Community-Mitglieder sind nicht nur in Horrorszenarien aktiv, sondern stützen das Projekt auch durch ihr Engagement. Ohnehin lautet unser Leitsatz „Die Community trägt das Projekt und nicht das Projekt die Community“. Dieser Ansatz gewährleistet auch die Nachhaltigkeit der geleisteten Arbeit. Das Ziel ist es, dass die Community so stark in das Projekt eingebunden ist, dass sie, sollte die Finanzierung gestoppt werden, das Projekt ohne die Anleitung von außen weiterführt.
Partizipation ist ein Grundsatz, der immer wieder aufzutauchen scheint. Welchen Stellenwert nimmt Partizipation in den Projekten der matrix ein?
Teilhabe sollte in einem demokratischen Staat immer der richtige Weg sein. Der Community die Möglichkeit zu geben, aktiv an der Gestaltung der Inhalte teilzunehmen ist unser Ansatz diesem Ziel so nah wie möglich zu kommen. Dieses Denken gewinnt auch in den sozialen Medien immer mehr an Bedeutung. Anstatt die Plattformen als Push-Medium zu betrachten, werden sie inzwischen mehr als Austauschplattform mit der Community betrachtet, wofür sie ja auch eigentlich entstanden sind.
In diesem Zusammenhang komme ich auch gerne wieder auf unsere YouthScienceCamps oder Barcamps zurück. Dadurch, dass sich die Teilnehmer*innen aktiv an der Gestaltung der Veranstaltung und Themen beteiligen, kann man garantieren, dass keine Langeweile aufkommt und die Aufmerksamkeit auf die Dauer sehr hoch bleibt. Teilnehmer*innen sind auch immer dazu eingeladen, selbst Themen vorzubereiten und zu präsentieren. Denn auch das ist schließlich eine Form der Partizipation.
Du bist in einer Reihe von Projekten eingebunden, erzähl uns etwas darüber.
Meine Schwerpunkte sind die Projekte Next Career und zdi. In beiden Projekten bin ich für die Kommunikation über Social Media zuständig und kümmere mich darum, unsere Partner bestmöglich mit ins Boot zu holen. Teil meiner Arbeit ist es unsere Social Media Plattformen zu managen und Inhalte für die Projekte zu konzipieren. Ebenso berate ich unsere Partner*innen und Institutionen und erarbeite gemeinsam mit ihnen in Workshops Social Media Strategien. Die Herausforderung liegt darin, dass jedes Projekt seinen individuellen Ansatz braucht. Strategien, die in dem einen Projekt funktionieren, müssen nicht unbedingt in einem anderen Projekt erfolgversprechend sein. Die individuelle Abstimmung auf das Projekt und die Nutzer*innen ist der entscheidende Faktor. Das kann heißen, dass wir eine komplett neue Strategie ausarbeiten oder eine bestehende Strategie anpassen. Die Partner*innen sollen eigenständig arbeiten können und dabei den partizipativen Aspekt nicht aus den Augen verlieren. Dabei müssen die Kunden manchmal ihren eigenen Geschmack außer Acht lassen und sich mehr auf die Nutzer*innen konzentrieren. Das ist nicht immer leicht.
Hast du einen grundlegenden Tipp, der bei „P2P“, Social Media und Community-Building immer gelten sollte?
Wenn ich einen Tipp geben könnte, dann, dass man Dinge einfach mal ausprobieren muss. Beispielsweise könnte man hier die Erscheinung einer neuen Social Media Plattform nennen.
Natürlich sollte man sich vorher die Frage stellen, ob die neue Plattform zum Profil und der Zielgruppe der Institution passt.
Sollte dies allerdings der Fall sein, empfiehlt es sich schnell zu reagieren und nicht wochen- bzw. monatelang zu überlegen, ob man den Schritt wagen soll.
Das heißt nicht, dass man jedem Trend hinterherrennen soll, aber es lohnt sich die eigene Zielgruppe zu beobachten, um rechtzeitig auf sie reagieren zu können.
Eine neue Plattform ist immer eine neue Chance, die Zielgruppe auf eine ganz neue Weise zu erreichen.
Wie bist du eigentlich in die matrix und den Bereich Kommunikation gekommen?
Marketing hat mich schon immer interessiert. Besonders der Aspekt der Kommunikation und wie man diese interaktiv gestalten kann, hat mich fasziniert. Bei der matrix war und ist für mich der große Pluspunkt, dass keine typischen Konsumgüter beworben werden, sondern Projekte im Fokus stehen, die einen sozialen Mehrwert schaffen. Das sind für mich Kommunikationsziele, hinter denen ich hundertprozentig stehen kann. In meiner eigenen Ausbildung habe ich gelernt, wie wichtig es ist, das angesammelte Wissen im Unternehmen an den richtigen Stellen weiterzugeben. Das hat mich letztendlich dazu motiviert Ausbilder zu werden und die AEVO-Prüfung (Prüfung zum Abschluss des Ausbilder*innen-Scheins) bei der IHK abzulegen. Bereits Mitte 2018 konnte ich unsere neuen Auszubildenden mit auswählen. Anfang des vergangenen Jahrs habe ich dann die AEVO-Prüfung bestanden und bin seit Oktober zusätzlich auch als Ausbildungsleiter der matrix tätig.
Du bist bereits einige Jahre in der matrix tätig und hast den Bereich Social Media mit aufgebaut. Wie lief das ab?
Als ich 2013 meine Ausbildung bei der matrix begonnen habe, lag für mich der Fokus auf Veranstaltungsmanagement und klassischer Kommunikation. Den Bereich Social Media konnten mein Kollege Arne Klauke und ich ab 2017 gemeinsam weiterentwickeln – vom Launch verschiedener Facebook-Pages für die Projekte, die wir betreuen dürfen, bis hin zum Beginn Inhouse-Videoproduktion. Besonders der Aufbau des Bereiches für digitale Medien-Kreation war ein großer Fortschritt. So konnten wir vermehrt eigene Inhalte produzieren und weitere Mitarbeiter*innen für den Bereich einstellen. Dadurch erhöhte sich natürlich nochmal die Qualität und Quantität der Inhalte. Wir beobachten aktuelle Trends und Plattformen sehr genau und passen unsere Inhalte an die relevanten Zielgruppen an.