Veröffentlicht am 17.09.2019 unter Aktuelles
FabLabs in Deutschland: mehr als eine Bewegung.
Fabrikationslabore gelten als die neuen Impulsgeber für grundlegende Erneuerungen in der Wirtschaft. Adriana Cabrera zu der Frage, welche Bedeutung diese besondere Welt des HighTech für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) in Deutschland haben kann und wie diese sich gegenseitig erschließen können:
In diesem Jahr konnten wir die kolumbianische Industriedesignerin Adriana Cabrera in das Team der matrix-Innovationsberatung integrieren. Sie unterstützt das Team als Senior Consultant und ist verantwortlich für den Bereich der Produktentwicklung. Beispielsweise entwickelt Adriana das Advanced Programm Fabricademy für KMU in Deutschland. Zusätzlich zu ihrem Studium der Medienkunst und des Oberflächendesigns hat Adriana Cabrera das FabLab in der Hochschule Rhein-Waal mit aufgebaut. Seit vielen Jahren arbeitet sie mit der FabLab-Community zusammen und ist in den Bereichen Healthcare sowie Forschung zu intelligenten Textilien und Materialien aktiv. Derzeit ist sie Dozentin für Softrobotik an der Fab Foundation. Wir freuen uns, ihr einige Fragen zum Thema Fablab stellen zu können.
Liebe Adriana:
Das FabLab ist für Dich wie eine zweite Heimat geworden. Was macht für Dich den besonderen Reiz aus?
Für mich als Produktdesignerin ist es vor allem die außergewöhnliche Synthese von Wissenschaft und Praxis. Im FabLab habe ich einen Ort gefunden, in dem ich meine Fragen, meine Ideen und mein Wissen mit Menschen aus vielen anderen Kulturen in einer weltweiten Community teilen kann.
Das ist ein großes Geschenk und eine große Chance zugleich. Gemeinsam suchen wir nach neuen technologischen Lösungen, die Menschen wirklich weiterbringen können.
Woran arbeitest Du besonders gern?
Mich interessieren vor allem Themen, bei denen wir mit Hilfe neuer digitaler Technologien gesellschaftlichen und persönlichen Nutzen stiften können. Ich arbeite an den Schnittstellen, wo die rasante Entwicklung von Hardware und digitalen Technologien die Umwelt und den Menschen stark beeinflussen. Meine ersten Erfahrungen habe ich in der Erforschung intelligenter Materialien (z. B. Textilien) aus der Perspektive der digitalen Fertigung gesammelt. Seitdem liegt mein besonderes Interesse in der Entwicklung neuer Fertigungsmethoden im Zusammenhang mit weichen Materialien, beispielsweise in der Weiterentwicklung von sogenannten Soft-Robotics. Sie unterstützen Menschen in ihrem Alltag und bei der Arbeit und können so dazu beitragen, ein freundliches Arbeitsumfeld zu schaffen und den Menschen ermöglichen, schwere und besonders komplizierte Tätigkeiten auszuüben. Dabei sind die Einsatzgebiete so unglaublich vielfältig, von der Industrie, über die Gesundheitswirtschaft, oder die Landwirtschaft bis hin zur Freizeit und dem eigenen Zuhause.
Was können Deiner Meinung nach Unternehmen von der Arbeit in FabLabs lernen?
Ich denke, dass vor allem kleine und mittlere Unternehmen, sogenannte KMU, die über keine eigenen Forschungs- und Entwicklungsabteilungen verfügen, die Zusammenarbeit mit FabLabs suchen sollten. Oft sind es sehr praktische Fragen rund um neue Werkstoffe, neue digitale Konstruktions- und Fertigungstechniken, aber auch neue Produktideen und Produktgestaltungen, mit denen wir uns in den FabLabs beschäftigen. Das sind genau die Fragestellungen, die auch für KMU in Zeiten der digitalen Transformation jeden Tag wichtiger werden, bis hin zu neuen Geschäftsmodellen.
Über die FabLabs erschließen sich die KMU auf sehr einfache Weise ein weltweites Netzwerk an meist jungen Kompetenzträgern, die zu den besten in ihren jeweiligen Disziplinen gehören. Das ist im Grunde über die FabLab-Strukturen und ihre Partner ganz einfach, wird aber noch viel zu wenig genutzt. Wir nennen diese Idee „Glocalisation“. Dabei geht es darum, dass global verfügbare Wissen für lokal zu beantwortende Fragen zu erschließen. Quasi: Die Welt als ein Dorf zu begreifen.
Du arbeitest ja nicht nur im FabLab in Kamp-Lintfort, sondern bist vor einigen Monaten zugleich ins matrix-Team nach Düsseldorf gewechselt. Was machst Du da genau?
Mit matrix arbeite ich schon viel länger zusammen. matrix ist in verschiedenen Projekten Partner des FabLab in Kamp-Lintfort und arbeitet auch mit anderen FabLabs und MakerSpaces in Deutschland zusammen. Bei matrix versuchen wir in sehr unterschiedlichen Projekten den Brückenschlag zwischen den FabLabs und KMU. Das nützt beiden Seiten, weil beide sehr viel und auch sehr schnell voneinander lernen. Natürlich ist das nicht immer ganz einfach und erfordert ein hohes Verständnis sowohl für das Personal in den FabLabs, als auch für die Unternehmen mit ihren wirtschaftlichen Herausforderungen. Beide Seiten – so glauben wir bei matrix – brauchen sich gegenseitig sehr viel mehr, als sie es oft denken. Mit der technologischen Power der FabLabs können Unternehmen viel leichter wichtige Fragen klären und beantworten und konkrete Lösungen entwickeln. Sie lernen von den agilen Prozessen und Strukturen in den FabLabs und werden dabei selbst agiler. Mit den Marktzugängen der Unternehmen können die FabLabs die Reichweite ihrer Ideen und Lösungen für die Menschen drastisch erhöhen. Daran arbeiten wir bei matrix.
Gerade findet die Top-Konferenz „The Industry of Things World“ in Berlin statt. Daran nimmst Du an der Seite von Neil Gershenfeld teil. Er wird die Veranstaltung eröffnen. Welchen Stellenwert hat die IoT World für Deutschland?
Auf der IoT World treffen sich an mehreren Tagen viele einflussreiche nationale und internationale Player der Szene. Ein besonderes Augenmerk liegt in diesem Jahr auf neuen Modellen der oben bereits erwähnten „Glocalisation“, denen sich die Wirtschaft mit wachsendem Interesse zuwendet.
FabLabs schaffen dazu eine spezielle Atmosphäre, die solche Trends unterstützt. Das Konzept der FabLabs ist daher von grundlegender Bedeutung für die Wirtschaft der Zukunft. Prof. Gershenfeld (MIT-Professor für Bits & Atoms und Vater der weltweiten FabLab-Bewegung) hat die Art zu produzieren und zu digitalisieren im Zusammenhang mit dem Internet of Things auf der ganzen Welt revolutioniert. Er wird seine Vision vorstellen, wie industrielle Kompetenz gesteigert, die globale Zusammenarbeit verbessert und lokale Entwicklungen unterstützt werden können.
Aus meiner Sicht als Moderatorin und Vertreterin der FabLabs in Deutschland, gibt es in Deutschland eine außergewöhnliche Fertigungskultur. Sie basiert auf dem besonderen Wissen der Tradition der sogenannten “Meister“, die auf einem jahrtausendealten Wissen über Spitzenleistungen in der handwerklichen Fertigung beruht. Es ist eine Herausforderung für neue Generationen, mit der gleichen Ambition Vorreiterinnen bei zukunftsweisenden Spitzentechnologien zu sein. Mit diesem Anspruch wollen wir als FabLabs junge Menschen, ältere Generationen und Unternehmen an einem Ort erreichen und begeistern. In diesem Sinne stellen FabLabs viel mehr dar als einen Raum mit neuen Technologien: Sie sind ein besonderer Ort des Wissenstransfers.
Ich glaube, dass die Wirkung der FabLab-Community darin besteht, dass sie jeder Branche und allen Individuen die Möglichkeit bietet, ihr Verständnis von Produktion zu ändern und dafür Zugänge und Netzwerke zu schaffen. Es geht uns darum, neue Ansätze des Prototyping zu finden und zu verbreiten. Hierfür entwickeln wir z. B. Materialien und Maschinen zu neuen autarken Produkten weiter, die dann beispielsweise in extremen Gebieten der Welt Distributions- und Kooperationsgeschäfte auf globalen Märkten mit lokalen Produkten möglich machen.
Dies ist durchaus als Aufruf zu verstehen, als Aufruf an Entscheidungsträger in Wirtschaft, Wissenschaft und Politik, ihre Denkweise zu verändern und die Rolle der FabLabs in Deutschland, aber auch weltweit als Mittler zwischen diesen Welten noch stärker in den Blick zu rücken. Wir laden all diejenigen ein, die neue Formen der Zusammenarbeit zwischen Gruppen und Individuen etablieren wollen, sich dabei den Mehrwert in der Zusammenarbeit mit unseren FabLabs zunutze zu machen.